Körperdialog

1. Schritt: Wahrnehmen, was ist

Beurteilen, Entschuldigungen suchen, Unterstellungen, Vermutungen anstellen, Schuldzuweisungen – unsere Reaktionen sind schnell und vielfältig. Selten nehmen wir etwas nur wahr, ohne zu urteilen. Meistens reagiert unser Verstand schnell und effektiv – er ordnet das Wahrgenommene sofort ein. Daraus ergeben sich häufig Konflikte, mit den Mitmenschen und auch mit uns selber. Bleiben wir bei der Atmung, die ich schon einige Male hier erwähnt habe. Nehmen wir einmal an, Sie stellen fest, dass Sie flach atmen. Ihr Verstand könnte nun folgendes senden: oh, ich atme sehr flach – mmh das ist schlecht, nicht richtig. Ich sollte tiefer atmen. Aber ich habe ja auch soviel Streß, da kann ich gar nicht tiefer atmen. Mich hat noch nie jemand darauf hingewiesen, dass ich flach atme! Außerdem schmerzt ja auch mein Rücken, wenn ich versuche tiefer zu atmen! Glaube ich sowieso nicht, dass tiefer Atmen etwas verändern könnte – alles Quatsch!

Und schon sind wir von uns und dem reinen Spüren weit entfernt. Wahr nehmen, was ist – bedeutet sich hinein begeben in das, was ist. Ich atme flach? Wie fühlt sich das an? Wie weit kommt mein Atem, wo kann ich ihn spüren im Körper?
Wir erkennen den Ist-Zustand, ohne zu urteilen.

Aber nicht nur uns und unseren Körper können wir wahr nehmen, sondern auch unsere Gedanken zu einer Situation, oder zu einem Menschen. Eine schöne Geschichte über unsere Gedanken und den Unterstellungen, die uns schnell einfallen, ist die Geschichte mit dem Hammer von Paul Watzlawick: Erkennen wir uns wieder?

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüber zu gehen und ihn aus zu borgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er ihn nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen ihn. Und was? Er hat ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von ihm ein Werkzeug borgen wollte, er gäbe es ihm sofort. Und warum sein Nachbar nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen ausschlagen? Leute wie der Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet der Nachbar sich noch ein, er sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s ihm aber wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Morgen“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“